Der Natur zuliebe und mit dem Drang, mehr über die unvorhersehbaren Prozesse im Eis zu erfahren, riskierte Lars Ostenfeld Kopf und Kragen, als er Spitzenwissenschaftlern in eine der wildesten und extremsten Landschaften der Welt folgte.

Das ewige Eis in Grönland scheint ein ziemlich unwirklicher Ort für das Leben zu sein. Was hat Sie dazu bewogen, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen?
Ich saß in meinem Wohnzimmer und las in einer Zeitung, dass der Eisschild eine Rekordschmelze erlebt hatte – wieder einmal. Und dann fragte ich mich, wie es gerade um den Eisschild Grönlands bestellt ist. Gibt es dort Pflanzen oder Tiere? Wer könnte es mir zeigen? Ich stieß auf Wissenschaftler, die auf dem Eisschild Feldforschung betreiben und entschloss mich, drei unerschrockene Glaziologinnen und Glaziologen zu porträtieren, die die Realität des Klimawandels und der Gletscherschmelze in den Fokus rücken: Alun Hubbard, Dorthe Dahl-Jensen und Jason Box. Ich reiste mit ihnen in die Arktis, wo sie messen wollten, wie schnell der grönländische Eisschild schmilzt.

Wie lange waren Sie auf Grönland?
Insgesamt war ich neunmal dort, dreimal auf ausgedehnteren Expeditionen über mehrere Wochen. Es war ein komisches Gefühl, als uns der Hubschrauber erstmals auf dem Eis absetzte. Als er weg war, waren wir allein wie vier winzige schwarze Punkte auf einem großen Blatt Papier.

In was für einer Umgebung waren Sie unterwegs?
Die Gegend lag 100 Kilometer landeinwärts und wir bewegten uns auf einer einen Kilometer dicken Matratze aus gefrorenem Wasser. Ich betrachtete die Landschaft durch meine Kamera und entdeckte, dass etwas Interessantes passiert, wenn man nur lange genug dort steht. Auf einmal entdeckt man die Nuancen: dass das Inlandeis kein riesiges Plateau bildet, sondern ein wenig schräg steht und dass der Wind die Eisoberfläche wie Wellen geformt hat, eingefroren in der Zeit. Nach zwei Wochen auf Skiern und mit einem Schlitten erreichten wir die Küste und hörten zum ersten Mal wieder einen Vogel. Mir wurde bewusst, dass wir während der Reise keine Tiere, Pflanzen oder überhaupt Leben gesehen hatten.

Wie haben Sie sich auf diese Reise vorbereitet?
Sie könnten jetzt Claus Kongsgaard Jensen anrufen, der mit dem Joint Arctic Command Überlebenstechniken im Eis trainiert und Extremausflüge auf Grönland arrangiert. Dann würden Sie erfahren, dass ich die reinste Nervensäge war, die ihn Löcher in den Bauch fragte: Welche Kleidung soll ich mitbringen? Wie lade ich den Akku auf? Welcher Schlafsack ist gut? Was soll ich essen? Wie steht es um die Sicherheit? Claus war auch sehr gut im mentalen Training. Mein Freund und Partner Caspar Haarløv war ebenfalls auf allen Reisen dabei.

Wussten Sie im Vorfeld, was genau Sie fotografieren wollten?
Ich habe nicht viel Erfahrung mit dem Eis. Als Kind hatte ich einen magischen Ort, den ich auf eigene Faust erkunden konnte – das Moor hinter dem Haus. Ich war dort jeden Tag, das ganze Jahr über, auf Expeditionen tief in unbekanntes Gebiet. Auf die gleiche Weise wollte ich den Eisschild mit der Kamera untersuchen. Oder genauer diejenigen, die den Eisschild untersuchen. Die direkte Erkundung des Geländes heißt „ground truth“.

Wie sieht ein typischer Tag bei den Glaziologen aus?
Es war im Grunde Camping auf Eis, mit all dem Durcheinander, das mit dem täglichen Umzug einhergeht: abbauen, packen, kochen, aufbauen, schlafen und so weiter. Wir waren ein Team und wir waren zusammen auf einer Expedition. Wir mussten zusammen überleben. In der großen Gletschermühle blieben wir zehn Tage. Dort teilten wir ein Zelt als Büro und Arbeitsplatz. Die Lebensmittel waren zumeist gefriergetrocknet und brauchten zur Zubereitung nur heißes Wasser. Auf einer komfortableren Reise hatten wir sogar ein Zelt als Toilette. Batterien halten in der Kälte nicht lange, deshalb verzichtete ich darauf, meine Fotos und Videos durchzusehen. An den Tagen, an denen die Sonne schien, stellten wir zwei große Solarmodule mit Skistöcken auf, um die Batterien aufzuladen. Das nannten wir „Bürozeit in der eisigen Einöde“.

Welche Kamera-Ausrüstung haben Sie verwendet?
Für Fotos zumeist die Leica SL2 mit einem 21er- und einem 50er-M-Objektiv. Mit der Kamera habe ich auch gefilmt, wenn ich in den Gletschern herumgeklettert bin.

Haben Sie eher auf Ästhetik oder auf Dokumentation geachtet?
Wenn ich die Welt durch eine Kamera sehe, fühle ich einfach. Ich spüre, ob mein Thema ehrlich ist, was inszeniert und was natürlich ist. Bevor das passiert, spüre ich eine „visuelle Stimmung“, ein Bauchgefühl, und schnappe mir die Kamera. Es ist ein impulsgelenktes Arbeiten mit Gefühl.

Was war die größte Herausforderung, der Sie sich stellen mussten?
Wir sind auf diese Expeditionen mit Skiern und Schlitten gegangen, auf denen die Bohrer, Waagen und Seile lagen, mit den denen die Wissenschaftler in die sich ständig verändernden, instabilen Gletschermühlen abstiegen. Diese wissenschaftlichen Abenteuer sind nicht nur wichtig, sondern auch sehr spannend. Zwei Ereignisse werden mir unvergesslich bleiben: Als wir die Nachricht erhielten, dass ein großer Sturm aufzöge, begannen die Wissenschaftler mit der Errichtung einer Schutzmauer. Ich filmte, wie die Schneeziegel entstanden – bis mir einfiel, dass ich auch überleben muss. Also legte ich die Kamera beiseite und fing an zu helfen. Aber da es gleichzeitig so schön war, fing ich wieder an zu filmen. Dann habe ich wieder geholfen … eine Szene, die viel darüber sagt, was in der ganzen Zeit los war.

Und zum zweiten haben wir den „Indiana Jones des Eises“: Geologe Alun Hubbard ist ein echter Abenteurer. Er seilt sich 180 Meter bis zum Grund einer Gletschermühle ab, das Eis bewegt sich, ächzt und stöhnt, ständig besteht die Gefahr eines tödlichen Schlags durch einen Eiszapfen. Ich war in einer 60 Meter tiefen Gletschermühle und hatte totale Angst, aber gleichzeitig war ich neugierig. Ich wollte mit der Kamera dabei sein, damit es keine Diskussion darüber gibt, ob es wahr ist oder nicht. Ich wollte beweisen und dokumentieren, was die Wissenschaftler gefunden haben.

Hat das Projekt etwas an Ihrer Sicht auf die Welt verändert?
Ja, oder besser gesagt, es hat meine Meinung bestärkt, dass wir einfach nicht alles kontrollieren können, auch wenn wir es noch so sehr wollen. Niemand kann die Natur kontrollieren. Es spielt keine Rolle, dass wir an der Spitze der Nahrungskette stehen und alles ausgebeutet haben. Wir müssen lernen, dass wir ein Teil der Natur sind und nicht über ihr stehen.

Den dänischen Fotografen und Regisseur Lars Ostenfeld faszinieren seit jeher Naturgeschichten, Reiseberichte und Filme über Landschaften und die Menschen, die dort wohnen – von der roten Wüste Afrikas über den grünen Regenwald Borneos bis zum weißen Eis der Arktis. Er ist immer gespannt, mehr über die unvorhersagbaren Prozesse zu erfahren, die erklären, wie die Welt tickt. Neben seinen Filmen, TV-Serien und Fotografien hat er 15 Bücher veröffentlicht. Erfahren Sie mehr über die Arbeit von Lars Ostenfeld auf seiner Website.

Leica SL2

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