Erst vor kurzer Zeit entbrannte der alte Kampf zwischen Rebellengruppen und Regierung in den Grenzregionen der Demokratischen Republik Kongo erneut. Für sein aktuelles Projekt hat der Londoner Fotograf Hugh Kinsella Cunningham die Menschen porträtiert, die von den bewaffneten Einheiten aus ihren Dörfern vertrieben wurden und nun in behelfsmäßigen Flüchtlingsunterkünften einer ungewissen Zukunft entgegensehen. So tauchen zwischen den erschütternden Reportagefotos immer wieder Momente der Menschlichkeit und Nahbarkeit auf.

Was hat Sie zur Fotografie hingezogen, und was treibt Sie an?
Ich dachte zunächst, die Fotografie sei ein Schlüssel zum Reisen und zur Erschließung der Welt. Das ist sie in gewisser Weise auch geworden, aber ich habe schnell gelernt, dass ich jemand bin, der gern in einem bestimmten Kontext arbeitet und darüber berichtet. In diesem Zusammenhang habe ich das Glück, Aufträge zu bekommen, für die ich reisen darf: Die Fotografie war der beste Reisepass, um den ganzen Kongo zu bereisen, vom Dschungel über die Savanne bis hin zu den Konfliktgebieten. Ich habe den Papst getroffen, an der Front fotografiert und gesehen, wie die Leute im ganzen Land mit den Widrigkeiten kämpfen. Ich habe auch über Umweltthemen berichtet, aber immer mit dem Schwerpunkt auf der Beziehung zu den Menschen. Menschen zu treffen und durch ihre Geschichten etwas über die Welt zu erfahren, das ist es, was mich antreibt, und beim Fotojournalismus hat man wirklich das Gefühl, dass man einen winzigen Einfluss darauf hat, wie die Geschichte geschrieben wird.

Wie beeinflusst Ihre Arbeit als Fotograf Ihre Persönlichkeit und Ihre Einstellung zu sozialen Themen?
Es ist schwer, nicht überwältigt zu werden, wenn man Zeuge von Trauer und Gewalt aus erster Hand wird. In bestimmten sozialen Kontexten werden Gewalttäter in ihren Handlungen bestärkt, sodass die Rebellengruppen nur selten durch ihr eigenes Handeln beschämt sind. Daher kann fotojournalistische Berichterstattung über das Leid, das diese Gruppierungen verursachen, als Mittel der Interessenvertretung der Benachteiligten betrachtet werden. Dieser Effekt verpufft aber, wenn die Arbeit kaum einen Weg an die Öffentlichkeit findet und keine Konsequenzen nach sich zieht. Es ist auch frustrierend komplex, verborgene Macht darzustellen. Im Dezember 2022 hatte ich zum Beispiel Zugang zu einer Stadt im Ostkongo, in der lokale bewaffnete Gruppen vom Staat zum Kampf gegen die M23-Rebellen mobilisiert wurden. Diese Gruppen sind für ihre Brutalität berüchtigt, und ich habe Kindersoldaten in ihren Reihen gesehen und fotografiert. Die Verbreitung dieser Bilder und die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung in der Region erzählen nur die halbe Geschichte. Der Zugang zu diesen jungen Männern vor Ort, die leiden und Leid zufügen, ist weit entfernt vom politischen Raum, in dem diese Entscheidungen getroffen werden. Die Grenzen der Fotografie liegen also klar auf der Hand, wenn man sie als Mittel zum Zweck für einen positiven Wandel begreifen will. Deshalb ist die Sichtbarkeit von Themen entscheidend. Geschichten und Ideen müssen aufgezeichnet werden. Es ist historisch wichtig, eine visuelle Aufzeichnung unserer Welt zu schaffen, und das ist ein starker Anreiz weiterzuarbeiten.

Was möchten Sie mit der bewussten Wahl von Porträts verdeutlichen?
Eine ganze Gemeinschaft wurde durch Gewalt entwurzelt, und Tausende von Zelten sind zu einer behelfsmäßigen Stadt geworden, in der Krankheiten und sexuelle Gewalt herrschen. Die Vorstellung dieser Leute, die in den ärmlichen Verhältnissen von Vertriebenenlagern leben, ruft stets ein bestimmtes Gefühl hervor – sei es Mitleid, Scham oder auch Gleichgültigkeit. Meine Porträts sollen indes die Unwürdigkeit und Ohnmacht der Situation überwinden und die Persönlichkeiten und Erfahrungen der Porträtierten widerspiegeln.

Warum haben Sie sich bei Ihrer Arbeit für Leica Kameras entschieden, und inwiefern hat das Equipment einen Einfluss auf ihre Fotografie?
Ich habe viele Jahre mit einer DSLR und einem Zoomobjektiv fotografiert – angesichts des technischen Fortschritts war es aber Zeit für ein Upgrade. Die SL2-S schien perfekt zu meinem Stil zu passen. Sie hat ein sehr kleines Gehäuse, was dazu beiträgt, dass die Sitzungen für die Porträtierten entspannter sind. Mit einem 50-mm- oder einem 35-mm-Objektiv fühlt sich die Kamera wie eine natürliche Erweiterung der eigenen Person an, sodass man sich auf die Welt um sich herum konzentrieren kann. Auch die Einstellung für den Augen-Autofokus ist großartig. Vor allem bei Porträts kann man die Kamera die Arbeit machen lassen und sich ganz auf die Interaktion mit den Porträtierten und ihren Gesichtsausdrücken einlassen.

Welchen Rat haben Sie für angehende Fotografinnen, die sich in ihrer Arbeit auf soziale Themen konzentrieren wollen?
Gehen Sie ein Risiko ein. Wenn es ein ruhigerer Moment ist, dann schauen Sie mal in die andere Richtung. Prüfen Sie, über welche Themen nicht berichtet wird. Wenn es sich um eine große Geschichte handelt, über die viel berichtet wird, dann überlegen Sie, wie Ihre Version dieser Geschichte anders sein kann, und sprechen Sie die Menschen an. Verfolgen Sie niemals eine Arbeit, der Sie sich nicht verpflichtet fühlen. Und: Fachwissen in einem bestimmten Bereich ist auch immer wichtig.

Im Jahr 2020 standen Sie auf der Shortlist für den LOBA Newcomer Award. Was hat sich seither in Ihrem Leben als Fotograf verändert?
Es war eine fantastische Anerkennung, für eine Geschichte nominiert zu sein, die für mich eine sehr emotionale Erfahrung war: die Berichterstattung über die Ebolaepidemie 2019 im Ostkongo. Ich habe drei Monate lang in dieser Region gelebt. Es war der zweittödlichste Ebolaausbruch in der Geschichte und der erste in einer aktiven Konfliktzone. Die Chance, die Geschichte noch mehr ins Rampenlicht zu rücken, meine Arbeit neben den besten Fotografen der Welt zu sehen, und die Ermutigung durch meine Nominatorin Benedetta Donato waren sehr wichtig. Seitdem war ich in den letzten beiden Jahren in Folge Finalist bei den Amnesty International Media Awards.

Der Londoner Fotograf Hugh Kinsella Cunningham spezialisiert sich auf Themen rund um Gesellschaft, Gesundheit und Konflikt und arbeitet seit 2018 in der Demokratischen Republik Kongo. Seine Reportage über das Ebolavirus bescherte ihm einen Platz auf der Newcomer-Shortlist für den LOBA 2020. Als Stipendiat des Pulitzer Centre on Crisis Reporting arbeitet er für Organisationen wie die WHO und den UNHCR. Erfahren Sie mehr über seine Fotografie auf seiner Webseite und seinem Instagram-Profil. Ein ausführliches Portfolio des Fotografen finden Sie im LFI Magazin 5/2023.

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